Die Endodontie – zu deutsch Wurzel- oder Wurzelkanalbehandlung – ist eine der kompliziertesten Disziplinen der Zahnmedizin: Sie dringt bis ins Zahnmark vor, um einen tief entzündeten, eigentlich schon fast zum Untergang verurteilten Zahn doch noch zu retten.

Rettungseinsatz, der sich lohnt

Zwar endet eine Wurzelkanalbehandlung mit einem “toten” Zahn – Zahnnerv und Blutgefäße werden entfernt, die Höhlung im Zahninnern mit einer sterilen Ersatzsubstanz gefüllt. Aber: Ein gewissenhaft wurzelbehandelter Zahn ist in seiner “Lebenserwartung” gegenüber einem vitalen Zahn kaum eingeschränkt. Das bedeutet lebenslanges Kauen mit dem eigenen Zahn. Manchmal überdauert ein solcher Zahn gar seine vitalen Nachbarn und kann in späteren Jahren noch das Verankern von Zahnersatz ermöglichen.

Diese Vorteile machen eine gut durchgeführte Wurzelkanalbehandlung zu solch einer wertvollen Investition in die Zukunft. Und weil die Betonung hier mit gutem Grund auf “gut durchgeführt” liegt, bin ich ein so überzeugter Anhänger der Nutzung des Operationsmikroskops für endodontische Prozeduren.

Früher: Im Dunkeln herumstochern

Bei einer Wurzelkanalbehandlung konnte lange Zeit so einiges schiefgehen. Beim Aufarbeiten der winzigen Wurzelkanäle liegt die durchschnittliche Größe der relevanten Strukturen unter dem Auflösungsvermögen des menschlichen Auges. Das scheinbar Selbstverständliche – dass man sehen sollte, was man gerade behandelt – wird so zur echten Hürde.

Mit Geschick, Intuition und Glück wurde schon damals Bedeutendes geleistet – aber leider kam es öfter vor, dass ein zusätzlicher Wurzelkanal gar nicht bemerkt wurde, ein Kanal nicht auf der ganzen Länge aufgearbeitet wurde oder hartnäckiges organisches Material an den Kanalwänden verblieb. In diesen Fällen werden die nicht entfernten Pulpareste zum Nährboden für Bakterien und lassen die Wurzelentzündung über kurz oder lang wieder aufflammen.

Auch gelegentliche Behandlungsfehler waren trotz größter Sorgfalt praktisch programmiert: Versehentliche Perforationen von Zahnwurzel oder Pulpaboden oder der Verlust von Instrumenten bzw. Teilen von Instrumenten im System der Kanäle konnten schlimmstenfalls den Erfolg der Behandlung in Frage stellen.

Insuffiziente Behandlungen, Revisionen, Wurzelspitzenresektionen, Extraktionen

In den Jahren vor der mikroskopischen Endodontie war die Behandlung etwa bei jedem fünften Wurzelkanal-Patienten insuffizient – Revisionen, Wurzelspitzenresektionen oder letztlich doch die Extraktion schlossen sich an. Bei nicht vom Fachmann durchgeführten Wurzelkanalbehandlungen sind die beschriebenen Probleme heute noch ähnlich häufig.

Der Einzug des Operationsmikroskops in die endodontische Praxis hat eine enorme Verbesserung der Arbeitsbedingungen und damit bis auf 99 Prozent erhöhte Erfolgsraten von Wurzelkanalbehandlungen gebracht.

Die Erleuchtung: Zahninneres unter dem Mikroskop

Unter dem Objektiv des OP-Mikroskops eröffnet sich endlich der Blick auf das Arbeitsfeld des Endodontologen: das Zahninnere, hell ausgeleuchtet und 25-fach vergrößert. Beim ersten Mal eine Offenbarung, immer wieder eine Freude!

Feinste Details von Pulpakammer und Wurzelkanälen werden sichtbar: Subtile Farbunterschiede des Zahnbeins bilden eine Art Landkarte, die das Auffinden der Kanaleingänge zuverlässig möglich macht. Anatomische Besonderheiten wie ungewöhnlich geformte oder verzweigte Wurzelkanäle werden sichtbar. Haarfeine Zahnfrakturen, die die bakteriendichte Versiegelung des Zahninneren kompromittieren können, lassen sich diagnostizieren.

Die Vergrößerung ermöglicht den sicheren Einsatz kleinerer, feinerer Instrumente – eine wichtige Voraussetzung für die vollständige Aufarbeitung auch der winzigsten Wurzelkanäle. Und auch auf das, was aus dem Zahn zutage kommt, kann der Endodontologe nun ein viel wachsameres Auge haben: Erst, wenn die Spüllösung auch unter dem Mikroskop klar erscheint, ist ein zufriedenstellender Grad der Desinfektion erreicht.

Kurz: Die Verwendung des Operationsmiskroskops ermöglicht ein ganz neues Niveau endodontischer Therapie. Und während die Krankenkassen sich (leider) noch so verhalten, als wäre die mikroskopische Endodontie ein verzichtbarer Luxus, ist sie international zum neuen Behandlungsstandard geworden.

Wie genau so eine Wurzelkanalbehandlung mit dem Mikroskop abläuft, erfahren Sie im nächsten Beitrag.


(Foto: © CandyBox Images, shutterstock.com)

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