Zahnwurzeln sind im Schnitt etwas über zwei Zentimeter lang. Kein Wunder, dass man lange meinte, ein Implantat müsse am besten fast genauso lang sein, um die Chancen stabiler Osseointegration zu maximieren. Das Experiment, es mit kürzeren Implantaten zu versuchen, wollte man nicht auf dem Rücken der Patienten austragen.

Nur: Schon Monate nach einem Zahnverlust bildet sich der Kieferknochen lokal deutlich zurück. Für anderthalb Millimeter lange Implantate ist da schnell kein Platz mehr, und aufwändige knochenaufbauende Maßnahmen werden erforderlich. Aber muss das wirklich in jedem Fall sein?

Die ersten drei Millimeter eines Implantats müssen das Meiste aushalten

2003 stellte ein französischer Zahnmedizin-Forscher namens Laurent Pierrisnard theoretische Berechnungen zur Belastung von Implantaten an – und fand heraus, dass der größte Stress durch Beißen und Kauen auf die künstliche Zahnwurzel entlang der ersten drei Längenmillimeter im Kiefer wirkt. Und dass die dort auftretenden Kräfte auch durch Verlängerung des Implantats nicht geringer werden. Mit dieser Neuigkeit im Kopf wagte man sich an kürzere Implantate, mit denen bald die ersten guten Erfahrungen gemacht wurden. Auch zehn oder acht Millimeter lange Implantate, so fand man heraus, heilen gut und stabil ein und erweisen sich den Implantaten klassischer Längen in Langzeitstudien zur Implantatlebensdauer als keineswegs unterlegen.

Wie kurz geht es denn?

Heute gibt es auch sechs oder sogar fünf Millimeter lange Ultrakurz-Implantate, deren Zuverlässigkeit in klinischen Studien belegt ist. Damit dürfte allerdings langsam die Grenze des Machbaren erreicht sein. Das liegt nicht nur an der Stabilität des Implantats im Kiefer, sondern insbesondere auch daran, dass bei zweiteiligen Implantaten die im Implantatinnern untergebrachte Verbindungsmechanik für die Befestigung des Impantataufbaus ebenfalls eine bestimmte Implantatlänge erfordert. Noch kürzere Lösungen sind dann simple einteilige Implantate mit bereits fest integriertem Kronenaufbau – und bei ultrakurzen Impantaten ist wegen der wirklich nicht gegebenen Primärstabilität eine Sofortbelastung noch weniger zu empfehlen als sonst.

Kurz, dick und in etwas anderem Design

Die bewährten Ultrakurz-Implantate des  amerikanischen Herstellers Bicon haben nicht das typische Schraubendesign klassischer Implantate, sondern ein sogenanntes Plateaudesign mit stark vergrößerter Oberfläche: Den gedrungenen Implantatkörper umlaufen mehrere ausladende Vorsprünge, zwischen denen sich während der Osseointegration besonders stabiler Knochen bildet. Damit sind Ultrakurz-Implantate meist teils deutlich dicker als längere Implantate (4 bis 6 Millimeter gegenüber 3,5 Millimeter).

In vielen Fällen sind Ultrakurz-Implantate eine attraktive Möglichkeit, ohne Sinuslift oder andere knochenaufbauende Maßnahmen weniger aufwändig, nicht zuletzt auch günstiger und trotzdem auf seriöse Weise zu Implantaten zu kommen. Sie sind gut geeignet, wenn vertikal weniger Knochen zur Verfügung steht, stellen aber durchaus Ansprüche an die Breite des Kieferkamms.

Aber auch ein eventuell nötiger Knochenaufbau kann mit Ultrakurz-Implantaten oft “eine Nummer kleiner” ausfallen und in vielen Fällen sogar gemeinsam mit dem Setzen des Implantats erfolgen.

Was vielen Patienten nicht klar ist

Keine Frage: Kurze Implantate sind eine tolle Sache. Patienten ist dabei aber oft eins nicht klar: Wenn der Kieferknochen, etwa in einer Zahnlücke, geschrumpft ist, wird eine ziemlich genau um dieses Maß längere Krone benötigt, um die physiologische Okklusion, also den normalen Aufbiss, wieder herzustellen. Das ist nicht kritisch, sofern es sich noch um relativ subtile Extralängen handelt. Irgendwann wird dann aber die Länge der Krone doch zum Problem.

Einerseits ästhetisch: Als ideales Maß für die vorderen Schneidezähne gilt zum Beispiel ein Verhältnis Länge zu Breite von 1 : 0,8.  Wenn wir diesen “Goldenen Schnitt” wesentlich verfehlen, haben unsere Patienten Grund zur Unzufriedenheit. Andererseits mechanisch: Ist die Krone nämlich deutlich länger als die künstliche Zahnwurzel, wirken vor allem beim Beißen erhebliche Hebelkräfte auf das Implantat: sehr schlechte Nachrichten für die  Stabilität. In solchen Fällen ist ein Knochenaufbau gerade im Frontbereich letztlich doch ratsam – ganz unabhängig von der die Implantatlänge betreffenden Entscheidung.


(Foto: © Maksim Toome, shutterstock.com)

Siehe auch: Was der Kieferchirurg bei Kieferknochenschwund tun kann | Wann heilt ein Implantat ein und wann nicht?Welche Voraussetzungen muss ein Patient für Implantate erfüllen? | Implantate: Die Dritten, die wie eigene Zähne sind | Was lange währt wird gut: So heilt ein Implantat richtig ein |