Mit diesem Artikel möchte ich Sie auf eine hochinteressante neue Hypothese zur Entstehung von Alzheimer aufmerksam machen: Es gibt überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass das gefürchtete Demenzleiden in engem Zusammenhang mit der Mundgesundheit steht.
Alzheimer-Patienten leiden häufiger als Gesunde an der Zahnfleischerkrankung, bei der Bakterien zunächst das Zahnfleisch und später auch den Kieferknochen attackieren – soviel ist bereits seit längerem bekannt. Bislang erklärte man sich das aber in erster Linie damit, dass demenzkranke Patienten mit der Zahnpflege überfordert wären.

Alzheimer-Forschung: Milliardeninvestitionen, bisher keine wirksame Therapie

Die Alzheimer-Erkrankung selbst, so lautete bis vor kurzem die von der medizinischen Grundlagenforschung überwiegend akzeptierte Erklärung, werde im Wesentlichen durch sogenannte Amyloid-Plaques im Gehirn verursacht. Diese klebrigen Proteinablagerungen, so der Konsens, behinderten die Kommunikation zwischen den Nervenzellen und führten über kurz oder lang zu ihrem Absterben.

Amyloid-Plaques sind in Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten in der Tat in hoher Dichte nachzuweisen und spielen offensichtlich eine Rolle bei der Erkrankung. Wie genau diese Plaques aber ins Gehirn kommen (Vererbung? Umweltgifte?) und was man tun könnte, um ihre Bildung zu verhindern bzw. sie wieder zu entfernen, blieb viele Jahre weitestgehend unklar: Trotz Milliardeninvestitionen in die Forschung war keine der zahlreichen experimentellen Therapien, mit denen das bislang versucht wurde, erfolgreich.

Eine neue Hypothese zur Alzheimer-Entstehung

Nun sieht es so aus, als könnten die Amyloid-Plaques gar nicht die Ursache der Erkrankung sein – sondern vielmehr ein Versuch des Körpers, sich gegen die wahre Ursache zur Wehr zu setzen. Bereits seit den frühen 2000er Jahren beschäftigten sich versprengte, nicht selten sogar belächelte Forscher mit einer alternativen Hypothese zur Entstehung von Alzheimer, nach der der ganzen Misere eine mikrobielle Infektion des Gehirns zugrunde liegt.

Im Schatten der Amyloid-Hypothese arbeiteten diese Außenseiter der Alzheimer-Forschung zäh an dem Nachweis, dass es sich bei den Amyloid-Plaques durchaus um eine antimikrobielle Verteidigungsstrategie des Gehirns handeln könnte. 2016 kam der Durchbruch mit einer Publikation in einem sehr renommierten Fachblatt. Heute liegen zahlreiche Studien vor, die nicht nur im Reagenzglas, sondern auch in Tierexperimenten gezeigt haben, dass die Plaques a) in der Tat eine Art „Klebefalle“ für Mikroben und Viren aller Art sind und so die Infektion der Neuronen verhindern, b) von Nervenzellen in Antwort auf eine mikrobielle Invasion abgesondert werden und c) die Neuronen vor der Infektion durch diese Keime schützen.

Umgedreht wird eher ein Schuh draus!

Mittlerweile ist die neue Hypothese zu den Ursachen von Alzheimer drauf und dran, die Amyloid-Hypothese sozusagen vom Kopf auf die Füße zu stellen: Es scheint nach wie vor denkbar, dass die Plaques letztlich zum Verkümmern der Nervenzellen beitragen – aber ihre Bildung ist wohl eher sekundär und hängt sehr wahrscheinlich mit einer mikrobiellen Infektion des Gehirns zusammen. Mit dem Alter wird die Blut-Hirn-Schranke, die verhindern sollte, dass Erreger ins Gehirn eindringen, durchlässiger für Viren und Bakterien. Infektionen sind daher durchaus auf der Tagesordnung.

Nun bleibt noch die Frage nach den wahrscheinlichen mikrobiellen Erregern der Alzheimer-Erkrankung. Hier hat die Forschung im Moment zwei Kandidaten besonders im Auge (und es ist natürlich ohne weiteres denkbar, dass verschiedene Erreger bei verschiedenen Patienten zum gleichen Ergebnis – Alzheimer – führen könnten): Zum einen das Herpes-Virus. Und zum anderen eine Reihe von aggressiven Bakterien, die im Mund das Krankheitsbild der Parodontitis auslösen. Dazu gehören neben Porphyromonas gingivalis noch weitere Erreger, die sich vergesellschaftet in den Zahnfleischtaschen der meisten Parodontitis-Patienten finden.

P. gingivalis: Von den Zahnfleischtaschen ins Gehirn

Bislang wurde in Tierexperimenten mit Mäusen nachgewiesen, dass chronische orale Infektionen mit diesen Bakterien tatsächlich zu einem bakteriellen Befall des Gehirns führen , und dass speziell P. Gingivalis in gesunden Mäusen alzheimer-artige Veränderungen im Gehirn auslöst.

Nun hat ein Forscherteam Proben aus den Gehirnen von 54 verstorbenen Alzheimer-Patienten untersucht und in über 95 % dieser Proben tatsächlich deutliche Spuren des Parodontitis-Erregers P. gingivalis nachgewiesen – nämlich einerseits bakterielle DNA und andererseits charakteristische Toxine, die dieses Bakterium absondert! Mehr noch, die Toxine wurden verstärkt in Hirnregionen gefunden, die besonders deutliche Alzheimer-Spuren zeigten.

In Proben aus den Gehirnen von Verstorbenen ohne Demenzsymptome konnten P. gingivalis und seine Toxine in geringerem Umfang ebenfalls gefunden werden – und zwar auch hier sehr deutlich korreliert mit dem Vorliegen von Alzheimer-Spuren (konsistent mit der Annahme, dass die Alzheimer-induzierten Veränderungen im Gehirn oft Jahre vor dem Auftreten der ersten kognitiven Schwierigkeiten beginnen).

Orale Prophylaxe, Alzheimer-Prophylaxe

Ich möchte hier keine letzte Gewissheit à la „Plaque auf den Zähnen führt zu Plaques im Gehirn“ suggerieren – dafür ist es vielleicht noch etwas früh. Aber dennoch sind die beschriebenen Resultate spannend und hochrelevant. Sie könnten uns nicht nur dem Verständnis, sondern auch einer Therapie – und einer wirkungsvollen Vorbeugung! – der Alzheimer-Erkrankung um Längen näherbringen. Einer Vorbeugung, bei der der Zahnarzt eine unerwartet große Rolle spielt!

Zu den vielen hervorragenden Gründen für gute Mundhygiene, regelmäßige Zahnreinigungen und insbesondere die wirklich konsequente Behandlung von Parodontitis kommt mit diesen wissenschaftlichen Funden ein weiterer hinzu, der wohl auch den letzten Mundhygienemuffel überzeugen dürfte.


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