So läuft eine Wurzelkanalbehandlung mit dem Operationsmikroskop ab

Das Operationsmikroskop hat ein ganz neues Niveau endodontischer Therapie ermöglicht. Im vorigen Beitrag habe ich die zahlreichen konkreten Vorteile des Arbeitens unter bis zu 25-facher Vergrößerung beschrieben. Hier geht es nun nun um den genauen Ablauf einer Wurzelkanalbehandlung.

Preliminarien

In vielen Fällen gab es bereits einen ersten (Not-) Termin, bei dem Karies entfernt, der schmerzende Nerv gezogen und der Zahn mit einer provisorischen Füllung versehen wurde. Weiterhin wird vor der Behandlung eine Röntgenaufnahme angefertigt, anhand derer der Zustand des Zahns und die Anatomie der Wurzelkanäle beurteilt werden können.

Nun liegt der Patient wie gewohnt im Behandlungsstuhl, mehrere Injektionen mit einem Lokalanästhetikum sind gesetzt, der zu behandelnde Zahn ist schmerzfrei und die Kofferdam-Membran, die den Zahn von der übrigen Mundhöhle isoliert, ist aufgespannt.

Die provisorische Füllung wird nun wieder entfernt und der Zahn, sofern die Krone größere Defekte aufweist, zu seiner Stabilisierung mit einer (Aufbau-) Kunststofffüllung versorgt. Erst dann schafft sich der Zahnarzt durch die Krone einen kleinen Zugang zur Pulpakammer, von dem aus das Wurzelkanalsystem erschlossen wird. Bei Backenzähnen erfolgt dieser Zugang durch die Kaufläche, bei Frontzähnen von der Rückseite des Zahns aus.

Live und in Farbe

Nun positioniert Ihr Zahnarzt das Objektiv des Operationsmikroskops etwa 30 Zentimeter oberhalb Ihres Mundes – die folgenden Behandlungsschritte werden unter dem Mikroskop durchgeführt. Normalerweise ist das OP-Mikroskop mit einer Kamera ausgerüstet, deren Bild- oder sogar Videoaufnahmen auf einem Monitor dargestellt werden. Wer die Nerven dafür hat, kann seine Wurzelkanalbehandlung live verfolgen!

Fingerspitzengefühl: Mechanische Kanalaufbereitung

Zuerst müssen die Eingänge der Wurzelkanäle in der Pulpakammer lokalisiert werden – dabei leisten Vergrößerung und Ausleuchtung durch das Mikroskop unschätzbare Dienste. Die aufgespürten Kanäle werden nun mit feinen, feinsten und allerfeinsten Instrumenten aufbereitet. Diese Aufarbeitung kann manuell oder maschinell gesteuert werden – jedoch bescheinigen die Fachgesellschaften der manuellen Aufbereitung eine statistisch etwas höhere Sicherheit hinsichtlich Instrumentenfrakturen.

Bei den Instrumenten handelt es sich um kleine Feilen aus einer hochflexiblen Nickel-Titan-Legierung, die dank ihrer Biegsamkeit Windungen und Kurven der Kanäle gut folgen können. Die kleinsten Feilen haben einen Durchmesser von nur 0,06 Millimetern – das ist der typische Durchmesser eines Haars! Bestimmte Feilen werden nur behutsam im Wurzelkanal auf- und abbewegt, andere können gleichzeitig rotiert werden. Dabei dringen sie langsam immer tiefer in den Kanal vor, wobei sie organisches Material entfernen und den Kanaldurchmesser behutsam glätten und erweitern. Zutage gefördertes Material wird regelmäßig weggespült und abgesaugt.

Die Aufarbeitung stellt eine konische Form der Wurzelkanäle her (oben dicker, unten dünner) und endet zunächst 0,5 Millimeter vor der Wurzelspitze. Heute können wir mittels elektrischer Längenmessung genau bestimmen, wann dieser Punkt erreicht ist: Aus dem elektrischen Wiederstand zwischen Instrumentenspitze und Mundschleimhaut lässt sich mit hoher Genauigkeit die Länge des verbliebenen unaufgearbeiteten Kanals ermitteln.

Mit einer sehr dünnen Feile wird nun der letzte halbe Kanalmillimeter gereinigt und auf Durchlässigkeit geprüft. Wir möchten die Kanalverengung an der Wurzelspitze erhalten, andererseits sollen unsere antibakteriellen Spüllösungen aber bis zur Wurzelspitze vordringen können.

Keimfrei sauber: Chemische Kanalaufbereitung

Sind alle Kanäle mechanisch aufbereitet, steht der zweite Schritt an: die chemische Aufbereitung mit Spüllösungen. Diese Flüssigkeiten sollen die Wurzelkanäle keimfrei machen, Bakterientoxine neutralisieren, bei der mechanischen Aufarbeitung entstandene Dentinspäne aus dem Kanal waschen und verbliebenes organisches Gewebe auflösen – nicht nur an den Wänden der aufbereiteten Kanäle, sondern auch in eventuell vorhandenen, aufgrund ihres Abzweigwinkels für die mechanische Aufarbeitung unzugänglichen kurzen Seitenkanälen.

Als Spüllösung hat sich im Sinne dieser vier Aufgaben eine 2,5-prozentige Natriumhypochlorid-Lösung bestens bewährt. Natriumhypochlorid wird mit dünnen Spezialkanülen wiederholt tief in den Wurzelkanal gebracht, die aus dem Kanal wieder austretende Lösung unter dem Mikroskop auf Trübungen/Klarheit geprüft und abgesaugt.

Als ergänzende Spüllösung kommt eine 1-prozentige Chlorhexidinlösung zum Einsatz. Chlorhexidin eliminiert auch gegen Natriumhypochlorid resistente Keime, die in Revisionsfällen oft die Schuld am Wiederaufflammen der Wurzelentzündung tragen.

Bakteriendicht versiegelt: Kanalfüllung

Kommt die Spüllösung klar wieder aus den Wurzelkanälen, kann der letzte Schritt – die Versiegelung der Kanäle – in Angriff genommen werden.

Die Kanalwände werden mit feinen Papierspitzen getrocknet und mit einer schwachen Säure (14-prozentige Ethylendiamintetraessigsäure) aufgeraut, damit die Füllpaste besser haftet. Eine 76-prozentige Alkohollösung verdrängt im Anschluss daran das Wasser aus dem Kanalsystem und sorgt so für die Trockenheit, die für eine bakteriendichte Verbindung zwischen Füllpaste und Wurzeldentin nötig ist.

Die Kanalfüllung besteht aus einem halbfesten, formbaren Füllstift aus dem organischen Material Guttapercha, der in den Kanal eingebracht wird, und einer Wurzelfüllpaste, die in alle Lücken zwischen Füllstift und Kanalwänden dringt und sich beim Erhärten adhäsiv mit dem Dentin verbindet. Die Füllpaste stellt die bakteriendichte Versiegelung sicher – und wird im abschließenden Röntgenkontrollbild idealerweise als Verschlusspfropf an der Wurzelspitze sichtbar.

Zahn gerettet: Behandlungsabschluss

Der Zugang zur Pulpakammer wird mit einem  Komposit wieder verschlossen und die abschließende Röntgenkontrollaufnahme angefertigt.

Falls die Zahnkrone nicht mehr ausreichend stabil sein sollte, kann zuvor ein Wurzelstift zur Verankerung einer zukünftigen Stiftkrone in einen der Wurzelkanäle eingeklebt werden. In diesem und anderen Fällen, in denen sich weitere Aufbaumaßnahmen der Zahnkrone anschließen sollen, wird der Zahn bis zum nächsten Termin mit einer provisorischen Krone geschützt.

Gute Aussichten

Eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung sterilisiert und versiegelt das Wurzelkanalsystem des Zahns und bringt dadurch den Bakteriennachschub zum Versiegen, der die Entzündung rund um die Wurzelspitze aufrechterhält. Damit bekommt das angegriffene Gewebe endlich Gelegenheit zum Ausheilen, der Kieferknochen remineralisiert sich und die Zahnwurzel sitzt wieder stabil im Kiefer. In der Regel verschwindet der Entzündungsherd innerhalb von drei bis sechs Monaten, und der Knochen heilt innerhalb eines Jahres vollständig aus. Eine seltene Ausnahme bilden echte Zysten – gegen diese entzündungsbedingten Wucherungen der Wurzelhaut hilft leider nur eine Wurzelspitzenresektion.

Die mit dem OP-Mikroskop durchgeführte Wurzelkanalbehandlung hat eine Erfolgsprognose von etwa 95 Prozent: In 19 von 20 Fällen ist sie das Happy End für Ihren Zahn.

In den nächsten Beiträgen wird es um die Zahnerkrankungen gehen, die Anlässe für eine Wurzelkanalbehandlung sind (hier geht es weiter).

Im letzten Beitrag ging es um die Grundlagen der Endodontie und um das verwendete OP-Mikrosop.


(Foto: © George Rudy, shutterstock.com)

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