Der Nutzen fluoridhaltiger Zahncremes zur Kariesprävention ist unbestritten. Aber warum wirbeln dann eigentlich die meisten direkt nach dem Putzen das ganze Fluorid mit viel Wasser wieder aus dem Mund?

Wenn Sie sich diese Frage auch schon einmal gestellt haben: Respekt, Sie denken mit. Und: Sie sind nicht allein mit Ihrer Verwunderung. Es gibt sogar wissenschaftliche Studien und Expertenzusammenkünfte, die sich dem Thema Ausspülen oder nicht Ausspülen unter dem Gesichtspunkt optimaler Fluoridwirkung widmen. Das Ergebnis? Der Rat, das Ausspülen besser auf ein für den persönlichen Komfort notwendiges Minimum zu beschränken.

 

Die Argumente gegen das Ausspülen

Beim Zähneputzen säubern wir nicht nur die Zähne, sondern wir bringen mit dem Fluorid auch ein anerkanntermaßen kariespräventiv wirkendes Therapeutikum in die Mundhöhle. Damit dieses Therapeutikum wirken kann, muss es im Speichel und an den Zahnoberflächen präsent sein – weit über die kurze Episode des Zähneputzens hinaus.

Ein Reservoir von locker an die Zahnoberflächen gebundenen Fluoriden verhindert die Auflösung des Zahnschmelzes durch Säuren, die von den Bakterien im Zahnbelag aus Zucker produziert werden oder in Form saurer Speisen und Getränke in den Mund gelangen, und hemmt außerdem den Stoffwechsel der Plaquebakterien. Wann immer ein Säureangriff erfolgt, steht Fluorid bereit, um sofort die Position der durch die Säuren aus dem Schmelz gelösten Hydroxylionen einzunehmen. Das entstehende Ersatz-Schmelzmineral Fluorapatit flickt nicht nur sofort den Zahnschmelz – es macht ihn auch ein bisschen robuster gegenüber zukünftigen Säureattacken. Aus fluoridhaltigem Speichel kann das Fluorid-Reservoir am Zahn immer wieder ergänzt werden.

Wenn dieses Verständnis der Wirkungsweise von Fluorid korrekt ist (und die moderne Forschung hat einigen Grund, das anzunehmen) – dann wäre es doch wohl besser, nach dem Zähneputzen nicht auszuspülen? Eine stabile Fluoridschicht auf den Zähnen baut sich nicht so sehr während des Putzens auf, das die Verhältnisse auf den Zahnoberflächen gründlich in Aufruhr versetzt, sondern in den ruhigen Minuten danach. Das setzt natürlich voraus, dass sich dann noch reichlich Fluorid im Speichel befindet.

 

Die Argumente für das Ausspülen

Andererseits: Wird nicht immer davor gewarnt, Zahnpasta zu verschlucken? Immerhin ist Fluorid im Übermaß eindeutig giftig. Und die nicht ausgespuckte Zahnpasta wird natürlich früher oder später mit dem Speichel verschluckt.

Ist es außerdem nicht sinnvoll, die lose geputzten Bakterien und Plaque-Trümmer schnellstmöglich auszuspucken?

 

Die Daten aus wissenschaftlichen Untersuchungen

Schon 1993 fand eine kleine schwedische Untersuchung in einer Zahnklinik, dass sich die Zahnputz- oder besser Ausspülgewohnheiten von Patienten mit hoher und niedriger Kariesaktivität signifikant unterschieden. Beide Patientengruppen putzten im Schnitt gleich lange und benutzten die ähnlich viel fluoridhaltige Zahncreme. Aber die Patienten, die stärker unter Karies litten, spülten nach dem Putzen öfter (im Schnitt drei- bis viermal) und mit mehr Wasser (im Schnitt insgesamt 190 Milliliter) aus als die Patienten, die keine oder nur kleine Kariesprobleme hatten (im Schnitt ein bis zweimal mit insgesamt 70 Milliliter). Nach dem Putzen wurde der Fluoridgehalt im Speichel der beiden Gruppen mehrfach gemessen: Auch nach 45 Minuten hatten die Wenigspüler noch deutlich höhere Fluoridkonzentrationen im Mund.[1]

In den folgenden Jahren wurde der Einfluss der Ausspülgewohnheiten nach dem Putzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta verstärkt zum Forschungsgegenstand sowohl empirischer Studien als auch experimenteller Untersuchungen, die den Effekt verschiedener Spülprotokolle auf den Fluoridgehalt des Speichels[2][3] und die Demineralisierung von Zahnoberflächen[4] untersuchten.

2012 kam schließlich eine Gruppe aus britischen, irischen, amerikanischen, schwedischen, niederländischen und deutschen Zahnheilkundeexperten zusammen, um darüber zu beraten, welche Empfehlungen zum Ausspülen nach dem Zähneputzen Zahnärzte ihren Patienten nach der aktuellen Datenlage am besten geben könnten und sollten. Die Ergebnisse ihrer Diskussion wurden im British Dental Journal, einem zur renommierten Nature-Gruppe gehörenden Fachblatt, publiziert und sind online für jedermann einsehbar. [5]

Unter Berufung auf mehrere Studien schlussfolgerte das illustre Gremium, die mittlerweile von etlichen Kollegen favorisierte Empfehlung, nach dem Zähneputzen nicht oder mit möglichst wenig Wasser zu spülen, sei durch die vorhandenen Daten weitgehend gerechtfertigt.

So hatte eine britische Beobachtungsstudie gefunden, dass von 3000 drei Jahre lang beobachteten Schulkindern diejenigen, die mit Hilfe eines wassergefüllten Zahnputzbechers (also mit deutlich mehr Wasser) ausspülten , während des Studienzeitraums mehr neue Kariesläsionen entwickelten als die, die zum Ausspülen mit der hohlen Hand Wasser schöpften oder gar nicht spülten.[6] Diese Ergebnisse wurden von weiteren, ebenfalls in den 1990er Jahren durchgeführten großen Untersuchungen ähnlichen Designs durchweg bestätigt.[7][8][9]

Besonders machten die Experten auf eine modifizierte Empfehlung zum Ausspülen aufmerksam, die von einigen Autoren gegeben wird: Demnach soll der Zahnpastaschaum nach dem Zähneputzen, verdünnt mit einem kleinen Schluck Wasser, gründlich um die Zähne und in den Zahnzwischenräumen herumgespült und erst dann ausgespuckt werden. Auf weiteres Ausspülen sowie auf Essen und Trinken bis zwei Stunden nach dem Putzen ist zu verzichten. In einer Studie hatten 54 Erwachsene, die diese Technik anwandten, nach zwei Jahren im Schnitt nur ein Drittel so viele neue Kariesläsionen (1,15) wie die Probanden der normal spülenden Kontrollgruppe (3,37).[10]

 

Und was ist mit den Argumenten für das gründliche Ausspülen?

Indem Sie nach dem Putzen ausspucken bzw. mit wenig Wasser spülen und dann ausspucken, entledigen Sie sich ebenfalls der meisten lose geputzten Plaque-Trümmer und Bakterien. Im übrigen kann das Ziel des Zähneputzens niemals eine bakterienfreie Mundhöhle sein: Das wäre weder möglich noch wünschenswert.

Und was die potentiell verschluckte Fluoridmenge angeht: Die kritische Dosis für toxische Effekte von Fluorid liegt bei 350 Milligramm, wenn Sie um 70 Kilogramm wiegen (5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht). Typische Zahncremes enthalten 1 bis 1,5 Milligramm Fluorid pro Gramm – und ein Gramm ist auch in etwa die Zahncrememenge (ein etwas über einen Zentimeter langer Strang), die pro Putzvorgang verbraucht wird. Selbst wenn Sie die vollständig verschlucken würden (was Sie ja nicht einmal annähernd tun), wären Sie erst bei einem Dreihundertstel der möglicherweise problematischen Dosis. Genausogut könnten Sie sich über eine Kochsalzvergiftung Sorgen machen, wenn Sie Ihr Frühstücksei oder Butterbrot salzen.

 

Fazit: Besser nicht mit Wasser spülen

Die Datenlage und Expertenmeinungen favorisieren heute das knappe Ausspucken nach dem Zähneputzen gegenüber dem immer noch überwiegend praktizierten Spülen der gesamten Mundhöhe mit viel Wasser.

Wenn Sie den Zahnpastageschmack im Mund nicht mögen oder Ihnen sonstwie unwohl wird beim Gedanken, auf das Ausspülen ganz zu verzichten: Spülen Sie mit wenig Wasser, aber konzentrieren Sie sich dabei auf Zunge, Gaumen und Rachen, und sparen Sie die Zähne möglichst aus. Fluorid-haltige Mundspülungen dürfen Sie dagegen mit Expertensegen im Mund herumwirbeln, so viel Sie wollen.

Wichtig zu wissen ist aber auch: Neue Erkenntnisse hin oder her – die Frage, ob Sie spülen oder nicht spülen, ist für den Kariesschutz nach wie vor weit weniger relevant als die Frage, wie regelmäßig und gründlich Sie putzen. In den meisten Studien ist der Effekt der Spülgewohnheiten viel kleiner als der der allgemeinen Putzgewohnheiten. Mit der richtigen Spültechnik lässt sich das gute Putzergebnis um Prozentpunkte optimieren, aber nicht ersetzen.


(Foto: ©Roman Samborskyi,shutterstock.com)

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Quellen:

[1]https://www.karger.com/Article/Abstract/261583

[2]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4882375/

[3]https://www.karger.com/Article/Abstract/261633

[4]https://www.karger.com/Article/Abstract/262089

[5]https://www.nature.com/articles/sj.bdj.2012.260#t2

[6]https://www.karger.com/Article/Abstract/261456

[7]https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1600-0528.1998.tb01979.x

[8]https://www.karger.com/Article/Abstract/16540

[9]http://journals.sagepub.com/doi/10.1177/00220345970760110901

[10]https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20496852?dopt=Abstract&holding=npg